Wissen, was los ist

Wenn jemand aus der Familie krank ist, betrifft dies alle Mitglieder. Das weiß auch Juliane aus eigener Erfahrung. Was es sonst mit seltenen Erkrankungen auf sich hat, hat unsere Kinderreporterin bei Prof. Dr. Ania C. Muntau, Direktorin derKlinik und Poliklinik für
Kinder- und Jugendmedizin, erfragt.

Schätzungen zufolge leiden rund vier Millionen Menschen in Deutschland an einer seltenen Erkrankung. Durchschnittlich vergehen fünf Jahre bis zur richtigen Diagnose.

Juliane Marschner
Juliane ist Naturliebhaberin, Pfadfinderin und Zirkusakrobatin

Juliane: Sie arbeiten an seltenen Krankheiten – was sind das?

Prof. Muntau: Wenn weniger als einer von 10.000 Menschen von einer Erkrankung betroffen ist, gilt diese als selten.

Welche Bedeutung hat es für das Leben einer Familie, wenn klar wird, was mit den Betroffenen los ist?

Das ist eine wichtige Frage. Viele Familien leben lange mit einem Kind, das Symptome, aber keinen Namen für die Erkrankung hat. Sobald dieser offenbar wird, ist das eine Erleichterung. Und es gibt noch eine gute Nachricht: Viele seltenen Erkrankungen finden wir schon kurz nach der Geburt heraus und können diese heute behandeln – auch wenn die Nachricht zunächst ein Schock für junge Eltern bedeutet.

Ich kenne PWS (Prader-Willi-Syndrom) aus meinem Familienkreis – ist das auch eine seltene Erkrankung?

Ja, doch auch diese Erkrankung kennen wir mittlerweile gut, einer von rund 15.000 Menschen ist davon betroffen.

Wie viele seltene Erkrankungen haben Sie schon gefunden oder wie viele Medikamente dagegen?

Mit meinem Team habe ich etwa das Zellweger-Syndrom erstmals entdeckt – und auch ein entsprechendes Medikament dagegen. Bei dem Gendeffekt handelt es sich um eine vererbbare Stoffwechselstörung, die ansonsten tödlich verläuft.

Kinderreporterin Juliane und Frau Prof. Dr. Muntau
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Kinderreporterin Juliane im Interview mit Prof. Muntau

Warum kümmern Sie sich so besonders um seltene Erkrankungen?

Es gibt nicht viele Ärzt:innen, die das gern tun. Dabei kann man so viel Neues dabei lernen – und Forschung und Patient:innenarbeit zusammenbringen. Das bedeutet medizinischer Fortschritt.
Heute haben wir viel mehr Möglichkeiten, seltene Erkrankungen zu finden und zu behandeln, als vor 30 Jahren.

Gibt es eine seltene Krankheit, die Sie ganz besonders spannend finden? Wenn ja, warum?

Weil Menschen mit seltenen Erkrankungen nicht so leben können, wie sie es sich erträumt haben, bezeichne ich sie nicht gern als spannend. Stattdessen sind die Erkrankungen besonders wichtig, bei denen wir modellhaft etwas zeigen – und dieses Prinzip auf viele andere Erkrankungen übertragen können. Wie etwa bei Betroffenen mit dem Gendefekt Phenylketonurie, die unter schweren Entwicklungsstörungen oder Epilepsie leiden. Hier konnten wir mit einem Medikament dafür sorgen, dass sie keine strenge eiweißarme Diät mehr halten müssen, sondern wieder fast normal essen dürfen. Auch viele andere Stoffwechselerkrankungen lassen sich auf diese Weise damit behandeln.

Was ist Epilepsie oder ein epileptischer Anfall?

Wenn sich elektrische Ladung in vielen Zellen des Gehirns gleichzeitig entlädt, spricht man von einem epileptischen Anfall. Einige Menschen verlieren dann das Bewusstsein, zucken rhythmisch, verdrehen die Augen und beißen sich auf die Zunge. Zehn Prozent aller Menschen erleiden im Laufe ihres Lebens einen solchen Anfall. Im Kinder-UKE kümmert sich eine Abteilung mit Spezialist:innen darum, vielen Betroffenen kann dort geholfen werden.

Sie sind Direktorin der Kinderklinik, Forscherin, Professorin – wie sind Sie dazu gekommen?

Ich war kaum älter als du, da wusste ich, dass ich Ärztin werden möchte. Ich hatte ein naturwissenschaftliches Interesse und wollte gern mit Menschen arbeiten. Weil ich gern unterrichte, habe ich mir eine Uniklinik statt eine Praxis oder ein Landkrankenhaus ausgesucht. Dass ich heute auch Klinikdirektorin bin, ist eher Zufall.

Wie sieht ein ganz normaler Arbeitstag von Ihnen aus?

Wenn ich morgens ins Büro komme, bespreche ich mit meinen Assistentinnen bei einem Milchkaffee den Tag. Am Vormittag besuche ich alle Stationen, schaue nach den besonders schwer Erkrankten. Nachmittags widme ich mich meinen Mitarbeiter:innen, kümmere mich um die Klinikorganisation oder die Forschung. Auch regelmäßige Videokonferenzen gehören zu meinem Tag sowie der Unterricht unserer Studierenden.

Was ist das Schönste am Forschen?

Wenn ich nachts aufwache und plötzlich weiß, wie ich etwas angehen kann, was vorher unverständlich war. Danach folgen systematische Experimente im Labor durch unsere Teams – und viele grundlegende neue Erkenntnisse, die wiederum unseren Patient:innen unmittelbar zugute kommen.

Was ist Ihr Lieblingsgerät im Labor?

Am liebsten mag ich Horst – das ist ein Roboter, den wir vor 15 Jahren eigens erfunden haben, damit er bei uns bestimmte experimentelle Aufgaben durchführt. Ein Techniker brauchte damals Monate, bis er richtig funktionierte. Da haben wir dem Roboter kurzerhand seinen Vornamen verliehen.

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Text: Kathrin Thomsen, Fotos: Axel Kirchhof, Illustration: Alexandra Langenbeck